Großröhrsdorfer Persönlichkeiten - Vermessungsingenieur Bernhard Rentsch

Großröhrsdorf hat im Laufe seiner Geschichte viele Persönlichkeiten beherbergt. Zusammen mit dem Hobby-Historiker Rüdiger Röllig wollen wir einige historische Personen vorstellen, die untrennbar mit Großröhrsdorf verknüpft sind.

Rüdiger Röllig kennt seine Heimatstadt Großröhrsdorf wie kaum ein anderer. Die Orts- und Regionalgeschichte ist sein großes Hobby. Das Interesse dafür wurde bereits in seinen Jugendjahren geweckt, als er von seiner Mutter ein Buch zur Ortsgeschichte geschenkt bekam. Darin entdeckte er Begriffe und sogenannte Ortslistennummern, die ihm die Mutter nicht erklären konnte. Aber sie konnte ihm etwas geben: Umfangreiches Kartenmaterial, welches ihr Vater hinterlassen hatte.

Mittlerweile besitzt er eine ansehnliche Kartensammlung, zum Teil mit Originalen, zum Teil auch mit Kopien. Die historischen Karten kommen dann zum Einsatz, um beispielsweise die Ortschronik von Praßer intensiv studieren oder die rasante Entwicklung Ende des 19. Jahrhunderts von Großröhrsdorf nachvollziehen zu können. Zusätzlich zu den Karten besitzt er noch zahlreiche andere historische Kostbarkeiten – Bücher, Broschüren, Verordnungen… Somit hat sich in den letzten 50 Jahren ein ziemlich umfangreiches Archiv aufgebaut.

Hobby-Historiker Rüdiger Röllig vor seinem umfangreichen Privat-Archivzoom
Hobby-Historiker Rüdiger Röllig vor seinem umfangreichen Privat-Archiv

Wir beginnen mit Bernhard Rentsch

Der Name Bernhard Rentsch dürfte nur wenigen Großröhrsdorfer Einwohnern noch etwas sagen. Dabei war der Vermessungsingenieur Rentsch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein bekannter Mann. Er wurde hier am 4. Mai 1856 in einfachen Verhältnissen als Sohn des Bandwebers August Rentsch und seiner Ehefrau Juliane geboren. Sein Elternhaus (Kat.-Nr. 322) stand auf dem Grundstück Südstraße 16. Es wurde 1989 abgebrochen und vor einigen Jahren durch einen Neubau ersetzt.
Ein besonders inniges Verhältnis hatte Bernhard Rentsch zu seiner Großmutter. Ihr 1681 erbautes Wohnhaus war schon recht baufällig und ist seit über 100 Jahren verschwunden. Auf dem Grundstück Radeberger Str. 125 steht seit 2012 ein Neubau. In dem Beitrag „Großmütterchen“ (Anzeiger Nr. 122/1929) schildert er ausführlich die für uns heute völlig undenkbaren Lebensverhältnisse der kleinen Leute Mitte des 19. Jahrhunderts. Gerne brachte seine Großmutter ihrem Enkel gelegentlich für wenige Pfennige ein paar Süßigkeiten mit. Bei ihren geringen Einkünften musste sie sich dafür das Geld buchstäblich vom Munde absparen.

Ab 1862 ging Bernhard Rentsch bis zu seinem 12. Lebensjahr in die alte Niederdorfschule (Kat.-Nr. 339), heute Südstr. 46. Sein erstes Schuljahr begann, wie damals üblich, zu Ostern. Einige Jahre später wurde die neue Niederdorfschule an der Einmündung der Schäfereistraße in die Radeberger Straße erbaut. Die letzten beiden Schuljahre bis 1870 besuchte er die damalige Hauptschule gegenüber der Kirche. Ab 1876 wurde das Gebäude nach Errichtung der neuen Hauptschule (heute Praßerschule) als Kantorei genutzt. Bernhards schnelle Auffassungsgabe ließ ihn stets zu den besten Schülern gehören. Besonders sein Zeichentalent bildete die Basis für seine spätere Berufstätigkeit. Aufgrund seiner guten Stimme durfte er als Chorknabe im Kirchenchor singen. Ein ausgesprochener Musterknabe war er dennoch nicht. In seinen Erinnerungen (s. Beilagen zum Anzeiger Unsere Heimat Nr. 62/1925, 63 und 64/1926) erzählt Bernhard Rentsch ausführlich von so manchem Schülerstreich. In seine Schulzeit fallen auf Großröhrsdorfer Gemeindegebiet die Bauvorbereitungen für die neue Eisenbahnstrecke nach Kamenz. Im Herbst 1869 machte sich König Johann persönlich ein Bild vom Fortschritt der Bauarbeiten. Die Kinder bekommen schulfrei und werden schon wochenlang auf das große Ereignis vorbereitet. Als Chorknabe steht Bernhard Rentsch mit in vorderster Reihe. Der König besucht außerdem mehrere der aufstrebenden Industrieunternehmen, u.a. C. G. Boden. Nach seiner Abreise stürzen sich die Schulkinder auf die Wein- und Essensreste vom königlichen Frühstück. Schließlich balgen sie sich, wer des Königs Teller ablecken darf.

Bernhard Rentsch. Das Foto entstand anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde 1926 zu seinem 70. Geburtstag. Es wurde von Herrn Johannes Nitsche zur Verfügung gestellt.zoom
Bernhard Rentsch. Das Foto entstand anlässlich der Verleihung der
Ehrenbürgerwürde 1926 zu seinem 70. Geburtstag. Es wurde von Herrn Johannes
Nitsche zur Verfügung gestellt.

An seine Schulzeit schloss sich eine erste Beschäftigung im Baubüro der Radeberg – Kamenzer Eisenbahn an. Diese Strecke wurde am 1. Oktober 1871 eingeweiht. Von 1871 bis 1874 folgte eine Lehre beim Ratsgeometer Lehmann in Dresden. Bereits als 18-Jähriger war er bis 1876 an der Vermessung der Landesprovinz Schleswig-Holstein beteiligt. Anschließend besuchte Bernhard Rentsch die Geometerschule in Stuttgart und 1878 / 79 die Technische Hochschule in Dresden, wo er die Staatsprüfung als Landvermesser ablegte. Heute würden wir ihn als Vermessungsingenieur bezeichnen. In seiner Tätigkeit als Privatgeometer hat Rentsch fast ein Fünftel des damaligen sächsischen Eisenbahnnetzes vermessen, rund 700 Kilometer. Dazu gehörten u.a. die Strecken Johanngeorgenstadt – Schwarzenberg, Klotzsche – Königsbrück sowie die Kohlebahn Straßgräbchen – Skaska. Wahrscheinlich 1883 siedelte Bernhard Rentsch nach Kamenz über, denn in diesem Jahr wird er hier als „Privatgeometer“ tätig.
Aus seinen jüngeren Jahren ist eine für uns amüsante Anekdote aus dem Jahre 1879 überliefert. Auf dem Wege nach Radeberg wurde er plötzlich in der Nähe der Kleinröhrsdorfer Oberförsterei von einem dort gehaltenen „zahmen“ Rehbock heftig attackiert. Rentsch versuchte sich mit seinem Regenschirm zu schützen, was ihm jedoch nur unzureichend gelang. Obwohl ihm eine zweite Person zu Hilfe eilte, trugen beide erhebliche Prellungen davon. Der Rehbock wurde daraufhin auf behördliche Anordnung hinter einem hohen Zaun „inhaftiert“. Diese kleine Geschichte vom „Zahmen Rehbock“ erschien 1930 in Unsere Heimat Nr. 153. Der Kampf der beiden Männer gegen das Untier wird dort auch in mehreren Bildern dargestellt.

1883 heiratete Bernhard Rentsch die damals 21 - jährige Liddy Schurig, Enkeltochter des Großröhrsdorfer Firmengründers Johann Gotthold Schurig. Aus dieser Ehe gingen insgesamt 10 Kinder hervor. Mit nur 38 Jahren verstarb seine Ehefrau bereits im Jahre 1900. Er heiratete ein zweites Mal, Theodora geb. Thomas. Aus dieser Ehe ging eine weitere Tochter hervor.

Bernhard Rentsch übte zahlreiche Ehrenämter aus:
Er wurde zum Landtagsabgeordneten gewählt und wirkte als Sachverständiger in Eisenbahnangelegenheiten. Zu dieser Funktion gehörte die Gutachtertätigkeit über Wirtschaftlichkeit von Eisenbahnprojekten. Sein Projekt einer Nord – Ost – Bahn zur besseren Anbindung der Region nördlich von Kamenz konnte er jedoch nicht durchsetzen. Er widersetzte sich auch der Forderung des Sächsischen Finanzministeriums, das benötigte Land unentgeltlich von den sorbischen Bauern einzuziehen. Während seiner 22 – jährigen Landtagstätigkeit war er Vertrauensmann der sächsischen Kommission zur Erhaltung von Kunstdenkmälern, Sachverständiger der Kreishauptmannschaft Bautzen sowie Mitglied der Brandversicherungskammer. Viele Jahre war Bernhard Rentsch außerdem Abgeordneter der Landessynode sowie Mitglied des Kamenzer Kirchenvorstandes. Auf kommunalem Gebiet wirkte er seit 1891 über 33 Jahre als Kamenzer Stadtverordneter und bis 1934 über 20 Jahre als Friedensrichter. Außerdem war er über 50 Jahre im Dienste des Roten Kreuzes tätig.
In Würdigung seiner zahlreichen Verdienste wurde Bernhard Rentsch 1917 der Titel eines Hofrates verliehen. Kamenz ernannte ihn bereits 1924 zum Ehrenbürger. Großröhrsdorf ehrte ihn auf gleiche Weise am 4. Mai 1926 anlässlich seines 70. Geburtstages. Neben weiteren Ehrungen wurde er mit einer Reihe von deutschen, sächsischen und österreichischen Orden ausgezeichnet. Nach einem langen arbeitsreichen Leben verstarb Hofrat Bernhard Rentsch kurz nach Kriegsende am 10.08.1945 in Kamenz. Sein Grabmal wie das seiner beiden Ehefrauen befindet sich heute an der Kamenzer Stadtkirche St. Marien.

(Angaben zum Lebenslauf nach Unsere Heimat Nr. 277 / 1936)

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